Rappelsnut

Wandern, Punkrock und der ganze Rest

Stirb nicht im Warteraum der Zukunft

Ich habe gelesen: „Stirb nicht im Warteraum der Zukunft“ von Tim Mohr.

Punkrock haben wir ab 1977 im Radio gehört, die Sex Pistols und die Ramones – der NDR hat dazumal auch den nordostdeutschen Äther bedient. Wir waren begeistert und schmissen Hard- und Artrock auf den Müllhaufen der Geschichte, Led Zeppelin und die Stones gehörten plötzlich zum alten Eisen. Und irgendwann tauchten sie dann auch an der Ostseeküste auf, die ersten richtigen Punks. Eine geheimnisvolle Band namens Virus X war in aller Munde, bunte Buttons und subversive Kasetten wurden schwer gehandelt. Wir erinnern uns daran.

Der US-Autor und DJ Tim Mohr hat nun ein Buch über die DDR-Punks geschrieben: „Stirb nicht im Warteraum der Zukunft – Die ostdeutschen Punks und der Fall der Mauer“. Dafür hat er in Archiven gestöbert und Stasi-Akten gewälzt, vor allem aber auch diverse Zeitzeugen befragt. Deren Geschichten bilden die Grundlage dieses bemerkenswerten, historischen Gesellschaftsdramas. Der Autor schildert in der Hauptsache die Geschichte der Punks in Ostberlin, klarer Fall, denn dort begann alles und die Szene war zweifellos auch die größte ihrer Art in der ehemaligen DDR. Aber auch in Leipzig, Erfurt, Eisleben und Rostock etablierten sich kleine Gemeinden, die im Text nicht unerwähnt bleiben.

Tim Mohr schreibt von den Anfängen und Protagonisten der Bewegung, den ersten Bands im Untergrund und natürlich vom Bemühen des Staatsapparates, diese dekadenten und asozialen Subjekte zu disziplinieren und an die Wand zu spielen. Besonderes Augenmerk legt er (mit berechtigter Kritik) auf die „Schirmherrschaft der Kirche“, die immerhin versuchte, den Punks in ihren Mauern ein Obdach zu geben. Ging es denen doch keinesfalls nur um Party, Bier und Musik – sondern um mehr: Das System als Ganzes musste fallen. Viele Akteure brachten sich damals in verschiedenster Weise ein (Stichwort Kirche von unten), um aufmüpfig und unverdrossen, trotz Knast, Ausbürgerung und immer währender Bespitzelung seitens der Stasi etwas gegen das Regime zu tun und letztlich dann auch zum Fall der Mauer beizutragen.

Die Dokumentation endet mit einem Rückblick auf das Berlin nach der Wende: etliche Altpunks besetzten Häuser, betrieben Clubs und wurden Teil der neuen Techno-Szene. Und wohnen heute immer noch in ihrem Berlin …


Tim Mohr
Stirb nicht im Warteraum der Zukunft
Die ostdeutschen Punks und der Fall der Mauer

2017, 1. Auflage.
Gebundene Ausgabe: 560 Seiten.

Verlag: Heyne Hardcore
ISBN: 978-3-453-27127-2
€ 19,99 [D]

Erschienen am 20. März 2017.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert