Holy Motors

Monsieur Oscar ist Schauspieler, und die Stretchlimousine, welche ihn durch Paris kutschiert, ist seine Garderobe. Er schlüpft von einer Rolle in die andere, spielt den Bankier, den treusorgenden Familienvater, eine Bettlerin oder auch einen Mörder und dessen Opfer.

Von Sonnenaufgang bis tief in die Nacht gilt es insgesamt acht „Termine“ abzuarbeiten. Die Kameras bleiben unsichtbar, ebenso der Regisseur und das Publikum. Jeder Auftritt wird an Hand eines Dossiers beschrieben – Unterstützung erfährt er in seinem Tun lediglich durch Céline, die schöne, alte Dame, welche ihn durch die Stadt chauffiert.

Nur zweimal wird es ganz privat: zur Mittagspause mit dem Akkordeon in der Kirche, und zum Abend, als der Mime unverhofft auf Jean trifft – seine alte Liebe und Kollegin (welche i. Ü. von einer sehr charmanten Kylie Minogue gespielt wird) …

„Holy Motors“ ist ein meisterhaft inszeniertes, skurriles Spektakel, das fasziniert und voller Rätsel steckt. Die Rolle des Monsieur Oscar scheint Denis Lavant förmlich auf den Leib geschrieben – seine Wandlungsfähigkeit ist schier unglaublich. Und vielfältig ist auch der Film im Ganzen, ihn einzuordnen fällt schwer – steckt doch von allem etwas darin: Horror und Krimi, Animation und Science Fiction, ein wenig Musical auch und noch vieles mehr.

Wer also Interesse an wirklich gutem Kino hat – abseits von Popcorn und all dem Ami-Serien-Shice – der sollte sich schnellstens in das nächste Programmkino begeben und diesen Film anschauen – unbedingt.

9 Antworten zu „Holy Motors“

  1. danke für den tip – mal sehen ob er sich zeitnah umsetzen lässt…

    1. Ja, mach das. Habe eben gesehen, dass er auch bei dir – im KIF – läuft … :)

  2. Darf ich mal nachfragen, wie Du zu der Einschätzung vom „amerikanischen Serien-Shice“ gelangst? Gerade dort hat doch in den vergangenen Jahren ein erstaunlicher Paradigmenwechsel stattgefunden, aus dem hochinteressante, sozialkritische, künstlerisch anspruchsvolle Produktionen hervorgegangen sind. Ich würde gerne nachvollziehen worauf Du Dein Urteil gründest.

    1. Mir ist bis dato leider keine neuzeitliche, amerikanische Fernsehserie bekannt, auf welche die von dir genannten Attribute zutreffen könnten. Wenn du von daher eine Empfehlung hast: ich bin ganz Ohr.

    2. Vorneweg: ich kenne dich natürlich zu wenig, um Deinen Geschmack und Deine Interessen abschätzen zu können, deswegen kann ich Dir nur empfehlen, was mir gefällt.

      An erster Stelle möchte ich Homeland empfehlen, das sich mit dem Thema des War on Terrors und de Welt nach 9/11 kritisch auseinandersetzt.
      Die preisgekrönte Serie ist
      – hochspannend (ich musste in einer Nacht sechs Folgen hintereinander weg ansehen)
      – mit hervorragenden Darstellern besetzt, allen voran Claire Danes als weibliche Hauptfigur
      – stilistisch interessant inszeniert (Rückblenden, Jazz (!) als roter Faden)
      – komplex und ohne Schwarz-Weiß-Malerei erzählt (keine der Hauptfiguren ist eindeutig gut oder böse)

      Dasselbe gilt für Mad Men, das eine Kulturgeschichte Amerikas anhand des Aufstiegs der in der New Yorker Madison Avenue ansässigen Werbebranche entwirft. Wie die Konsumgesellschaft der 50er das Trauma des 2. Weltkrieges zu vergessen versucht, wie sich die Politik (Nixon vs. Kennedy) schon damals primär über Inszenierungen statt über Inhalte definierte, plus -zig Themen wie Popgeschichte, Feminismus etc. am Rande wunderbar eingewoben.

      Game of Thrones ist zwar Fantasy, aber man darf dabei jetzt nicht an drittklassige Kostümserien im Nachmittagsprogramm deutscher Privatsender denken. Nein, GoT ist eine mit geradezu epischem Anspruch erzählte Parabel über Macht (das Spiel um den Thron), Politik, Krieg, Intrigen. Es spielt in einer pseudo-mittelalterlichen Welt, die ein wenig an Herr der Ringe erinnert. Und obwohl es Fantasy ist, hat mir besonders gut gefallen, dass man sich mit dem Einsatz virtueller Effekte bis ganz zum Ende der ersten Staffel zeit ließ, dass also bombastische CGI-Spielereien nicht an die Stelle der Erzählkunst traten.

      The Wire (urbaner Verfall), Breaking Bad (Drogen) und Sopranos (Mafia) habe ich selbst noch nicht gesehen, sollen aber ebenfalls sehr, sehr gut sein.

      Bei Bedarf kann ich gerne noch mehr Empfehlungen aussprechen.
      HTH. :)

  3. Vielen Dank, das klingt alles sehr interessant. Gehört habe ich von diesen Serien allerdings noch nie …

    Werde mich mal auf die Suche machen – ich nehme an, du hast die Serie in irgendeinem Store abonniert oder laufen die im TV?

  4. Hm, wie antworte ich jetzt, ohne dass es klingt, als ob Du hinterm Mond gelebt haben musst? ;)

    Im Ernst, es verblüfft mich total, dass ein Mensch wie Du, dessen gesamtes Blog Zeugnis über seine Kultiviertheit ablegt (Literatur, Kunst, Musik), von diesen Serien noch nichts gehört hat. Ich denke aber, dass das weniger etwas über Dich als über den Stellenwert des Fernsehens in Deutschland aussagt. Die Feuilletons sind voll von Rezensionen, die sich angesichts dieser Serien vor Lob überschlagen, aber den Weg in die Masse finden diese Produktionen selten.

    Zur Ausstrahlung im TV:

    Homeland: „Im März 2012 wurde bekannt, dass sich die ProSiebenSat.1 Media die deutschen Ausstrahlungsrechte gesichert hat, wobei aber noch kein genauer Sender oder ein Startdatum genannt wurden.“ (Q., soweit nicht anders genannt: Wikipedia.)

    Mad Men: „Der deutsche Pay-TV-Sender FOX Channel zeigte die erste Staffel der Serie vom 6. Juli bis zum 4. Oktober 2009. Die zweite Staffel wurde vom 27. September bis 8. November 2010 erstausgestrahlt. Die Ausstrahlung der dritten Staffel erfolgte vom 29. November 2010 bis zum 21. Februar 2011, die der vierten Staffel ab dem 24. Oktober 2011. Die Erstausstrahlung der Staffel 5 beginnt am 24. September 2012.

    Ab dem 6. Oktober 2010 zeigte ZDFneo die erste Staffel von Mad Men im Free-TV. Für die Premiere warb man in Trailern und Anzeigen mit den Texten „Hinter jeder erfolgreichen Frau steht ein Mann, der ihr auf den Arsch glotzt“ sowie „In der Hauptrolle: die Rolle der Frau“.“

    (Auch interessant: „Die Entscheidung, auf dem Spartenkanal ZDFneo mit seiner geringen Reichweite, sowie der fehlende Mut, nicht im Hauptprogramm des ZDF zu senden, wurden deutlich kritisiert. […] Die Free-TV-Premiere sahen 80.000 Zuschauer, der Gesamtmarktanteil lag bei 0,4 Prozent, was einer Verdoppelung des momentanen Senderschnitts entspricht.“)

    „Die Ausstrahlung der zweiten Staffel der Serie erfolgte vom 7. September bis zum 30. November 2011, die der dritten Staffel vom 7. Dezember 2011 bis zum 29. Februar 2012 auf ZDFneo.“

    Game of Thrones: „Die Free-TV-Ausstrahlung der ersten Staffel sendete der Sender RTL II vom 23. bis zum 25. März 2012, wobei immer drei bzw. vier Folgen zur Hauptsendezeit bis in die Nacht gezeigt wurden.“

    Eine gute Anlaufstelle ist die Filmgalerie Phase IV in Dresden (http://www.filmgalerie-phaseiv.de/), wo man bis auf Homeland alle sechs von mir hier aufgezählten Serien als DVD leihen kann.

    Ich denke, bei i-tunes o. ä. wird man auch fündig werden.

    Allerdings leben mein Ehemann und ich ein sehr traditionelles Rollenmodell: er bringt die Mammuts und Serien nach Hause, ich hüte das Feuer und rezensiere die Serien. Soll heißen: um die Details des Wo und Wie muss ich mich dankenswerterweise nicht kümmern.

    1. Danke für deine ausführlichen Antworten. :)

      In Sachen TV lebe ich tatsächlich hinterm Mond – das darfst du gerne so sagen.

      Allerdings ist diese „Abstinenz“ Programm: wir schauen vergleichsweise wenig fern und verfügen lediglich über einen DVBT-Zugang. Damit bleibt das Grauen (Privat-TV) komplett außen vor, und für den Tatort oder eine gute Doku reicht es allemal. DVDs leihen wir auch nicht aus, zumal es hier vor Ort gewiss nicht solch eine gut sortierte Ausleihstation – wie ihr sie vor der Haustür habt – geben wird. Und ich habe tatsächlich auch noch nie nach Filmen im iTunes Store gesucht … Für einen guten Film gehen wir eben am allerliebsten ins Kino. :)

      Aber gut: deine Empfehlungen machen mich neugierig, bin schon am Suchen und bei iTunes auch fündig geworden. Allerdings sind die Preise jenseits von Gut und Böse – abgelehnt. Ich neige dann wohl doch eher zum Ausleihen …

  5. Auch wir sehen nur über DVBT fern. Meistens lande ich bei arte (neulich mal bei Wetten Dass Ära Lanz), danach war ich wieder eines Besseren belehrt).

    Kino würde bei uns bedeuten, dass immer nur einer gehen kann, für Babysitter ist es noch zu früh. Und sowieso sind wir strikte OV-Gucker, bleiben also nur noch die DVDs aus besagter Quelle.

    Eine Alternative, die ich noch zu erwähnen vergaß, ist http://www.lovefilm.de/ – der etwas unglücklich gewählte Name klingt wie ein Unternehmen der Beate-Uhse-AG, ist aber ein DVD-Leihservice von amazon.

    Und zu guter Letzt: TORRENT, das „Magazin für serielles Erzählen“ (http://torrent-magazin.de/) ist jetzt schon mit der zweiten Nummer erschienen. Es widmet sich exklusiv diesen neuen, ambitionierten Serien des US-amerikanischen, britischen, aber auch deutschen Marktes.

    Sehr lesenswert!

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