Rappelsnut

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Die Todesnacht in Stammheim

Ich habe gelesen: „Die Todesnacht in Stammheim – Eine Untersuchung“ von Helge Lehmann.

Wir erinnern uns: am Morgen des 18. Oktober 1977 wurden Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Irmgard Möller tot bzw. schwer verletzt in ihren Zellen im Hochsicherheitsbereich der JVA Stuttgart-Stammheim aufgefunden. Bereits um 08.53 informiert DPA mit der Eilmeldung: „Baader und Ensslin haben Selbstmord begangen.“

Mit dieser Meldung (welche i.Ü. noch vor Beginn der kriminaltechnischen und gerichtsmedizinischen Ermittlungen erging) wurde ganz bewußt diejenige Richtung festgelegt, der die Mehrzahl der Ermittler und Medien (erwähnt sei hier beispielsweise Stefan Aust als Buch- und Drehbuchautor) folgen werden – der „kollektive Selbstmord der Häftlinge“ scheint die alleinige, unumstößliche Wahrheit – bis in diese, unsere Tage.

Der Autor Helge Lehmann setzt sich mit der staatsoffiziellen Darstellung kritisch auseinander – er führt quasi einen Indizienprozess gegen das damalige Todesermittlungsverfahren. Dazu hat er mehr als vier Jahre aufwendig recherchiert, Akten aus den verschiedensten Archiven gesichtet, Zeitzeugen befragt und eigene Testaufbauten zur Klärung wichtiger technischer Details erstellt.

Konnten Anwälte Waffen und Sprengstoff in das »sicherste Gefängnis der Welt« schmuggeln? Hatten die Gefangenen ein funktionierendes Kommunikationssystem? Entsprachen die Obduktionsergebnisse und Tatortermittlungen dem damaligen Stand der Wissenschaft, sind sie umfassend und in sich widerspruchsfrei? Welche Rolle spielten Kronzeugen für die Ermittlungsrichtung? Waren die Waffen- und Sprengstoffverstecke so möglich wie dargestellt? Was hatte es mit den in jener Nacht im Gefängnishof beobachteten Autos auf sich? Dies sind nur einige der Fragen, denen in dieser Untersuchung akribisch nachgegangen wird …

Mir scheint Helge Lehmanns Argumentation schlüssig, die aufgezeigten Fehler und Nachlässigkeiten im Zuge der Ermittlungen (etwa der Verzicht auf den Histamintest bei Gudrun Ensslin – wie im Jahr zuvor auch schon bei Ulrike Meinhof!) sind erschreckend und machen nachdenklich. Vieles bleibt rätselhaft und ungeklärt, und Zweifel sind mehr als angebracht. Und immer noch sind wesentliche Aktenbestände zu diesem Komplex nicht einsehbar – „aus Gründen, die die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden.“ Ein Schelm, der Arges dabei denkt …

Dem Autor gebührt Dank und Anerkennung für seine umfangreiche, superb recherchierte Arbeit. Aufklärung tut hier bitter not, und so ist es auch nur allzu verständlich, wenn etwa Gottfried Ensslin jetzt die Ungereimtheiten der Untersuchung anprangert und die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt hat (SpOn am 19.10.2012).

Weiterführende Infos finden sich unter todesnacht.com.

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