Rappelsnut

Wandern, Punkrock und der ganze Rest

Das Weblog

  • Hardy Grüne: Tour d’Afrique

    Ich habe gelesen: „Tour d’Afrique“ von Hardy Grüne.

    12.000 Kilometer, zehn Länder und etwa 120 Renntage in vier Monaten. Die Tour d’Afrique wird seit 2003 ausgetragen und führt von Kairo nach Kapstadt. Sie gilt als das längste und härteste Radrennen der Welt … Vom Veranstalter wird lediglich eine elementare Grundversorgung gestellt – was die medizinische und technische Betreuung, die Streckenmarkierung, die Verpflegung und eine simple Campingmöglichkeit zur Nacht betrifft. In allem anderen sind die Teilnehmer_innen Selbstversorger.

    Hardy Grüne – seines Zeichens Sport-Journalist und Buchautor – hat 2011 an diesem Rennen teilgenommen und es gemeistert. Mit der Niederschrift der Ereignisse ist es ihm in lobenswerter Weise gelungen, sämtliche Aspekte des Martyriums zu betrachten: die körperliche und seelische Belastung, die Begegnung mit dem afrikanischen Kontinent an sich – sprich die stetig wechselnden Landschaften und Lebensbedingungen der Menschen vor Ort, und vor allem natürlich auch den sportlichen Anspruch.

    Im Fazit ist dieser Bericht ein großartiges Tagebuch einer bemerkenswerten Reise durch Afrika. Er fesselt von der ersten bis zur letzten Seite und ist somit unbedingt lesenswert – nicht nur für den mehr oder weniger ambitionierten Hobby-Radsportler …

  • Stefan Heym: Schwarzenberg

    Ich habe gelesen: Schwarzenberg von Stefan Heym.

    Wir erinnern uns: das Gebiet um Schwarzenberg (eine kleine Stadt im Erzgebirge) wurde nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht 1945 weder von amerikanischen noch von den sowjetischen Truppen besetzt. Mangels einer arbeitsfähigen, neuen Obrigkeit nahmen einige beherzte Menschen vor Ort ihr Schicksal in die eigenen Hände …

    … Tabula rasa, wir allein, und ohne einen fremden Herrn, der uns über die Schulter sieht, um zu kontrollieren, ob wir’s denn auch nach seinem Willen machen.

    Stefan Heyms Roman beruht also auf Tatsachen, die handelnden Personen sind jedoch frei erfunden. Der Autor zeichnet das Geschehen als eine politische Utopie, die sozialistisch geprägt ist. Nach der Gründung des antifaschistischen Aktionsausschusses zur Leitung der Region geht es zunächst und vor allem um die Versorgung der Menschen mit dem Notwendigen. Daneben steht die Problematik des Umgangs mit den noch verbliebenen Vertretern der alten Ordnung, und letztlich übernehmen die neuen Amtsinhaber die Verhandlungen mit den Besatzungsmächten. Ob es letztlich gelingen wird, die auf den Trümmern des Dritten Reiches erbaute Freie Republik Schwarzenberg dauerhaft zu etablieren?

    Der Autor verbindet das historische Geschehen gekonnt mit der Schilderung persönlicher Schicksale. Als Protagonisten treten diverse Mitglieder des Aktionsausschusses auf, Kommunisten, ehemals Inhaftierte und Emigranten neben amerikanischen und russischen Offizieren, deren Schicksale mitunter verwoben sind.

    Fazit: der Roman über diese unerhörte, kaum zu glaubende deutsche Nachkriegszeit-Geschichte fesselt von der ersten bis zur letzten Seite – von daher unbedingte Leseempfehlung meinerseits.

  • Charles Bukowski: Faktotum

    Ich habe gelesen: „Faktotum“ von Henry Charles Bukowski.

    Das Amerika der 40er Jahre. Hank Chinaski, seines Zeichens erfolgloser Kurzgeschichten-Autor, tingelt durch die Staaten und hangelt sich von einem miesen Job zum nächsten. Ein billiges Zimmer, Alkohol nicht zu knapp und gelegentlich eine Frau sind alles, was er will. Exzessive Trinkgelage, Pferdewetten, eine gelegentliche Schlägerei. Er lebt für den Augenblick, und tut nie mehr als das, was zum Überleben notwendig ist. Jedweder Ehrgeiz ist ihm fremd. Meist verliert er seine Anstellung schon nach wenigen Tagen … Ein wenig Hoffnung kommt auf, als eine seiner Short-Stories veröffentlicht wird.

    Die Bäume entlang der Straße sahen alle gleich aus: klein, verkrüppelt, halb erfroren, ohne Blätter. Ich mochte sie. Ich ging meinen Weg unter dem kalten Mond.

    Bukowski erzählt hart und direkt, nichts wird beschönigt, kein noch so schmuddeliges Detail wird ausgespart. Exzellente, trockene Dialoge und ein Hauch von Melancholie dazu. Am schönsten ist wohl die Pferdewetten-Geschichte: Chinaski und sein Kollege müssen, um auf die letzte Wette des Tages zu setzen, selbst ein Rennen bestreiten – vom Arbeitsplatz zur Rennbahn. Vor dem Feierabend natürlich. Eine Glückssträhne, für eine kurze Zeit.

    Faktotum ist im Fazit nicht der beste, aber ein lesenswerter Bukowski allemal. Wer noch nichts vom Autor gelesen hat, sollte vielleicht mit dieser kurzweiligen Novelle beginnen.

  • Der Spion am Fensterkreuz

    Was jetzt nur sekundär diejenige Person meint, welche hinter der Gardine hervorlugt, sondern primär einen oder oftmals auch zwei kleine Außenspiegel, welchen die Altvorderen zum Zwecke der Information am äußeren Fensterrahmen montiert hatten.

    Diese Spiegel waren dereinst (Sie werden sich erinnern: es gab eine Zeit vor dem Rundfunk und dem Fernsehen) häufig zu sehen und äußerst beliebt. Denn somit konnten die Frauen, deren Leben sich zumeist auf den häuslichen Bereich beschränkte, zumindest ein wenig am Leben auf der Straße teilhaben. Selbst im verborgenen und bequem am Fenster sitzend ließ sich über den Spiegel das Treiben vor der Tür bestens verfolgen … Dem Vernehmen nach weiß ich um die verbürgte Existenz derselben bis weit in die 50er Jahre hinein (in der nordostdeutschen Provinz).

    Wer einmal genau hinsieht: im Bild oben ist ein besonders schönes Exemplar dieser Spähspiegel zu sehen. Wir sehen hiermit ein interessantes Detail aus dem Originalbild (oben im Foto linker Hand, der Fotograf ist unbekannt), welches explizit unter die Lupe genommen wurde, um uns somit eines dieser heute lange vergessenen Alltagsszenarien in Erinnerung zu rufen. Die Aufnahme zeigt im Übrigen die Doberaner Straße in Rostock um 1896.

    Neben diesem finden sich viele andere, interessante und oftmals auch amüsante Szenen am Rande in dem mir nun vorliegenden Bildband „Auf offener Straße – Rostocker Stadtbildfotografie des 19. und 20. Jahrhunderts“, welcher als Begleitband zur gleichnamigen und von mir schon gelobten Sommer-Ausstellung des Kulturhistorischen Museums Rostock erschienen ist. Die Lektüre desselben sei hiermit wärmstens empfohlen …


    Auf offener Straße – Rostocker Stadtbildfotografie des 19. und 20. Jahrhunderts

    120 Seiten | Broschur
    56 historische s/w Aufnahmen, dazu vergrößerte Bildausschnitte und Karten
    Format 20,0 x 24,0 cm
    Im Hinstorff Verlag erschienen
    Euro 16,99*

    * Das ist kein Affiliate-Link.

  • Unbesetztes Gebiet

    … Aus der Not heraus entstand hier eine deutsche Selbstverwaltung („Freie Republik Schwarzenberg“), ein zu dieser Zeit einmaliges politisches Gebilde, das bis zu seiner Besetzung durch die Rote Armee, Mitte Juni 1945, auf einem 520 Quadratkilometer großen Territorium seine Funktionsfähigkeit erhalten konnte …

    Soweit das Zitat aus meiner derzeitigen S-Bahn Lektüre („Das Kriegsende in Sachsen 1945“ von Wolfgang Fleischer, eine lesenswerte Dokumentation der regionalen Ereignisse in den letzten Wochen des Krieges). Damit bin ich einmal mehr darauf gestoßen – auf diese 42 Tage währende, unerhörte Begebenheit der jüngeren deutschen Geschichte.

    Grund genug, sich etwas ausführlicher damit zu befassen – also erstens die Wikipedia zum Thema zu befragen, zweitens Stefan Heyms Roman zu ordern und drittens über eine Aufenthaltsgenehmigung und den zwingend notwendigen Besuch nachzudenken.

  • Wolfgang Herrndorf: Arbeit und Struktur

    Nach der Diagnose eines bösartigen Hirntumors beginnt der Schriftsteller Wolfgang Herrndorf im September 2010 ein digitales Tagebuch zu schreiben. Im Ursprung war dieses rein privat, erst später entschloss er sich zur Veröffentlichung.

    „Arbeit und Struktur“ ist nicht nur eine wärmste Leseempfehlung meinerseits – das wäre zu wenig. Nein, ich erlasse hiermit einen LESEBEFEHL.

    Davon gab es in den letzten Monaten nicht gar so viele. Dabei habe ich sehr wohl gelesen: das eine oder andere Magazin, Reisebücher, diverse Kriminalromane und einiges mehr. Doch allesamt scheinen sie mir hier nicht wirklich erwähnenswert. Mit Wolfgang Herrndorfs Tagebuch verhält es sich nicht so – gehört es als solches doch zu den bemerkenswertesten Texten, die ich in der letzten Zeit gelesen habe. (Tipp via)

    PS: ich hoffe, ihr habt derweil endlich alle den „Tschick“ gelesen?

  • Das Verschwinden des Philip S.

    Philip Werner Sauber, 1947 in Zürich geboren, kam 1967 nach Berlin und begann ein Studium an der 1966 gegründeten Filmakademie. Dort lernt er Ulrike Edschmid kennen, verliebt sich und die beiden werden ein Paar. Nach einem ersten experimentiellen Film gerät Philip S. zunehmend in den Strudel der politischen Ereignisse: im Sommer 1968 – während der Notstandsgesetzgebung – wird auch die Filmakademie besetzt. Im Zuge der Auseinandersetzungen mit dem Direktorium werden im Herbst 1968 schließlich 18 Studenten relegiert – Philip S. ist einer von ihnen (ebenso wie Holger Meins).

    Es folgten Jahre intensiver politischer Diskussionen und Projekte. Das Paar wohnte in der Kommune 2 in der ehemaligen Fabriketage der Schönberger Grunewaldstraße 88 und beteiligte sich aktiv an der Berliner Kinderladenbewegung. Nach dem gewonnenen Musterprozess gegen die Filmakademie erwarb Philip von der gezahlten Entschädigung eine Halbzoll-Video-Anlage. Somit entstand eine kleine Medienwerkstatt, alternative Filmprojekte und die Herausgabe einer Untergrundzeitung standen auf der Agenda. Im Zuge der damaligen, weithin bekannten Ereignisse gerieten auch die Bewohner_innen der Grunewaldstraße zunehmend in den Fokus der staatlichen Behörden – regelmäßige Hausdurchsuchungen seitens der Berliner Polizei standen irgendwann auf der Tagesordnung. Schließlich kam es zu ersten willkürlichen Verhaftungen, darunter auch Philip S. und Ulrike E.

    Was für Philip S. folgt, wird gemeinhin als zunehmende Radikalisierung beschrieben. Das Paar trennt sich und geht verschiedene Wege. Ulrike entscheidet sich für das Leben mit ihrem Sohn, Philip wählt den Weg in den bewaffneten, politischen Untergrund. Im Mai 1975 wird Philip S. bei einem Schusswechsel mit der Polizei auf einem Kölner Parkplatz getötet.

    Ulrike Edschmid hat mit diesem autobiografischen Roman eine tief bewegende Geschichte geschrieben. Schritt um Schritt versucht sie die zunehmende Entfremdung zwischen sich und Philip S. zu erfassen, und trauert dabei um einen Menschen, der nach beinahe 40 Jahren in vergilbten Klischees und alten Fahndungsfotos zu Unrecht vergessen erscheint.

    Unbedingte Leseempfehlung.

  • Wodka ist immer koscher

    Ich habe gelesen: „Wodka ist immer koscher“ von Küf Kaufmann.

    Im vergangenen November fand sich der Autor in Pirna zu einer Lesung ein – ich erwähnte das hier kurz und hatte dann auch das ausgesprochene Vergnügen, der Veranstaltung beizuwohnen. Allerdings habe ich es jetzt erst geschafft, sein Buch auch zu lesen.

    Küf Kaufmann, geboren 1947 im russischen Marx, lebt seit 1990 in Deutschland und ist heute als Schauspieler, Kabarettist und Regisseur allgemein bekannt. Er ist Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig und Mitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland (Wikipedia).

    In seinem autobiografisch geprägten Roman „Wodka ist immer koscher“ schreibt Küf Kaufmann vom Alltag der längst vergangenen Sowjetunion. Schon klar, dass dabei der Wodka – als russisches Nationalgetränk – eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Stepan, ein Hofwart mit Walrossschnurrbart und steter Wodkafahne, Ludmila, die handfest agierende Sängerin am Revue-Theater oder Oleg, der überaus clever agierende Ganove im roten Sakko – in 30 kurzweiligen, mitunter sehr skurrilen Episoden erfahren wir so einiges von dem, was die russische Seele an sich wohl ausmacht. Dabei kann der Autor aus einem reichhaltigen Fundus an Erfahrungen schöpfen, war er doch (neben anderem) etwa als Nachtwächter im Speisewagen des Zuges Leningrad-Warschau/ Warschau-Leningrad und später lange Jahre am Leningrader Revue-Theater beschäftigt.

    Im Fazit ist „Wodka ist immer koscher“ eine lesenswerte „Russland-Lektüre“, geprägt von klugem Witz und geschrieben von einem, der es wissen muss.

  • W. Herrndorf: Tschick

    Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ dürfte inzwischen zum Klassiker avanciert sein, und das aus gutem Grunde … Ich habe den Roman erst jetzt in die Finger bekommen und mich köstlich amüsiert.

    Erzählt wird eine bemerkenswerte Reise durch die sommerliche, ostdeutsche Provinz. Hauptfiguren sind zwei vierzehnjährige Jungen: Maik (aus vermeintlich gutem Hause) und Tschick (eigentlich Andrej Tschichatschow, russischer Spätaussiedler und durchgeknallter Asi aus den Hellersdorfer Hochhäusern), welche in einem geknackten Lada Richtung Süden fahren. Imaginäres Ziel der spontan und vollkommen planlos agierenden Burschen ist die Walachei, um Urlaub zu machen (die Sommerferien haben gerade begonnen) und Tschick’s Großvater zu besuchen. Unterwegs treffen sie (neben anderen) auf die vagabundierende Isa und natürlich geht vieles von dem auch schief, was auf solch einer Tour schief gehen kann …

    Wolfgang Herrndorf erzählt wunderbar unaufgeregt, weiß Pointen wohl zu setzen und beschwört dazu das Gute im Menschen.

    Die Welt ist schlecht, und der Mensch ist auch schlecht. Trau keinem, geh nicht mit Fremden und so weiter. Das hatten mir meine Eltern erzählt, das hatten mir meine Lehrer erzählt, und das Fernsehen erzählte es auch. Wenn man Nachrichten kuckte: Der Mensch ist schlecht. Wenn man Spiegel TV kuckte: Der Mensch ist schlecht. Und vielleicht stimmte das ja auch, und der Mensch war zu 99 Prozent schlecht. Aber das Seltsame war, dass Tschick und ich auf unserer Reise fast ausschließlich dem einen Prozent begegneten, das nicht schlecht war.

    Im Fazit ist es eine wunderschöne, schräge Geschichte über das Erwachsenwerden, die jedermann und jedefrau – ob groß, ob klein – einmal gelesen haben sollte.

  • Timur Vermes: Er ist wieder da

    Ich habe gelesen: „Er ist wieder da“ – ein Roman von Timur Vermes.

    Wir schreiben den Sommer 2011. Adolf Hitler erwacht auf einem verwilderten Grundstück inmitten von Berlin. Er ist allein: keine Eva, kein Bormann, und auch vom Führerbunker ist nichts zu sehen. Geplagt vom Kopfschmerz und in einer stark nach Treibstoff riechenden Uniform erhebt er sich alsbald und taucht ein in die Gegenwart.

    Noch leicht irritiert von der jahrzehntelangen Auszeit findet sich der GröFaz jedoch alsbald und erstaunlich schnell zurecht – in einigen Dingen ähnelte dieses Deutschland schließlich dem ihm vertrauten Reich: es gibt Radfahrer, es gibt Automobile, und es gibt Zeitungen. Und es gibt das Fernsehen, welches über die Jahre eine erstaunliche Entwicklung genommen hat …

    Timur Vermes lässt den großen Verführer als Ich-Erzähler agieren und teilt ordentlich gegen die bundesdeutsche Wirklichkeit aus. Hitler ergreift die Initiative und geht – wie anno dazumal – seinen eigenen Weg, der ihm auch dieses Mal zu fragwürdigem Ruhm und unverhoffter Ehr aufsteigen lässt. Und das ist der Verdienst dieses Romans: den Finger in die Wunde legen und aufzeigen, dass diese, unsere Gesellschaft keinesfalls vor neuerlichen Ränkeschmieden gefeit ist, und dass nur allzu gerne und wieder auf den starken Mann gehofft wird, der vermeintlichen Klartext spricht. Nichtsdestotrotz habe ich mich bei der Lektüre königlich amüsiert. Vielleicht hätte der Autor auf die eine oder andere Szene ob ihrer Banalität verzichten können, und hier und da etwas mehr Biss hätte dem Werk sicherlich auch gut getan.

    Fazit: im Ganzen hat „Er ist wieder da“ von allem etwas, ist Satire, Persiflage und Polit-Comedy zugleich. Pädagogisch wertvoll im eigentlichen Sinne möchte ich meinen, und empfehle den Roman daher ausdrücklich zum Zwecke der gepflegten Lektüre.