Rappelsnut

Wandern, Punkrock und der ganze Rest

Das Weblog

  • Flake: Der Tastenficker

    Ich habe gelesen: „Der Tastenficker – An was ich mich so erinnern kann“ von Christian Lorenz aka Flake.

    Flake dürfte als Musiker hinreichend bekannt sein – seit 1994 ist er Keyboarder (also Tastenficker) bei Rammstein. Er spielte zuvor bei Feeling B und in zahlreichen Nebenprojekten wie der Magdalene Keibel Combo und Frigitte Hodenhorst Mundschenk. „Der Tastenficker“ (2015, 1. Auflage, handsigniert und nummeriert) als seine erste Publikation ist eine klassische Autobiografie.

    Ich mag Clowns nicht. Ich mag keine Pantomimen, Kabarettisten und keine Liegeradfahrer.

    In seinem Buch erzählt er schlicht, wie er zu dem wurde, der er heute ist. Garniert mit zahlreichen Fotos und Zeichnungen spannt Flake den Bogen von der Kindheit und Jugend in Berlin, über die wilden Jahre mit Feeling B bis hinüber in die aktuellen Tage. Scheinbar naiv erzählt er einfach drauf los, berichtet in erfrischenden Episoden von etwas anderen Familienausflügen, den Jungen Pionieren, seiner frühen Liebe zu Musik und Automobilen sowie wie es ihm dann später gelang, sich dem Wehrdienst zu entziehen. Es folgen die ersten musikalischen Erfolge, eine Lehrausbildung, Proben, wilde Konzerte und immer wieder reichlich Alkohol. Flake erzählt dabei nicht unbedingt chronologisch, greift jedoch immer wieder Themen auf, die ihm wichtig sind – seine Ängste, Flake als Hypochonder und Flake als exzessiver Autonarr und Bücherwurm. Zudem erfahren wir: Ruhm und Geld bedeuten ihm nicht viel, Abwaschen und Fensterputzen mag er hingegen sehr. Kartoffeln mit Butter auch.

    Fazit: Christian Flake Lorenz ist wahrhaftig ein Schelm, der mit reichlich Witz und Ironie zu gefallen weiss. Ich habe sein Buch mit großem Wohlgefallen gelesen und mich dabei köstlich amüsiert.

    PS: Wer mit dem „Tastenficker“ einen Rammstein-Report erwartet liegt falsch – die Band wird tatsächlich nur am Rande erwähnt.

  • Sächsische Heimatbilder

    Edgar William Hahnewald (1884-1961), seines Zeichens Schriftsteller, Redakteur und Illustrator, wanderte fürs Leben gern im Sächsischen und sah sich dabei aufmerksam um. In den 1920er Jahren trat er mit mehreren Reisebüchern an die Öffentlichkeit, die als ein Loblied auf die Heimat und zugleich als wunderbare Dokumentation der Städte und Landschaften verstanden werden dürfen. Er spaziert an der Elbe, schippert die Mulde entlang, genießt die Bergwiesen im Sommer und besucht zur Weihnachtszeit die Dörfer im Osterzgebirge. Seine Wanderungen führten ihn unter anderem nach Pillnitz, Meißen, Stolpen und Pirna.

    Unterm Sonnenstein, angelehnt an grüne Grasgärten, zieht sich die alte Fischer- und Schiffersiedlung an der Elbe hin, von deren naßbespülten Steinufern leider durch den Bahndamm geschieden. […] Noch heute ist sie ein abseitiges Idyll. Ein kleiner rechteckiger Platz, der Plan genannt, liegt in der Mitte. Bunte Häuschen, wie als Vorbild für Spielzeugschnitzer hingebaut, umschließen ihn wie die Wände eines heiteren Sälchens. […] Über den Türen tun gemeißelte Anker und gekreuzte Fische das Gewerbe der Bewohner kund. […] Das ist die Schifftorvorstand, die in Hochwasserzeiten am ärgsten zu leiden hat.

    Es wäre jedoch falsch, Edgar Hahnewald damit als einen Heimatdichter im trivialen Sinne zu verstehen – Volkstümelei und Klischees waren ihm fremd. Der Mann war Mitglied in der SPD und auch journalistisch tätig, schrieb etwa für die „Reußische Tribüne“ und die „Dresdner Volkszeitung“. 1933 emigrierte er als politisch Verfolgter in die ČSR, später dann nach Schweden, wo er sein neues Zuhause fand und 1961 verstarb.

    Der hier vorliegende Band „Sächsische Heimatbilder“ erschien 1989 im F. A. Brockhaus Verlag und vereint eine Auswahl seiner Beiträge aus verschiedenen Büchern. Wer sich auf die (nur manchmal ein wenig ausufernden) Loblieder auf Natur und Landschaft einlässt hält letztlich eine genaue, im historischen Kontext geradezu meisterliche Beschreibung der sächsischen Gefilde in seinen Händen. Hoch interessant und empfehlenswert für diejenigen unter uns, die ebenfalls – und zumeist auf Schusters Rappen – Land und Flur erwandern.

  • Dorfpunks

    Rocko Schamoni – seines Zeichens Entertainer, Musiker, Autor, Schauspieler und Clubbetreiber – schildert in DORFPUNKS seine Jugenderinnerungen als Dorfpunk Ende der 1970er/ Anfang der 1980er Jahre.

    Ort der Handlung ist das fiktive Schmalenstedt (gemeint ist jedoch Lütjenburg in Schleswig-Holstein). Die Eltern des Protagonisten (beide Lehrer) haben dort ein heruntergewirtschaftetes Bauernhaus erworben und renovieren es. Als Zugezogener darf unser Held sich in das Leben des Dorfes einfügen. Und, soviel sei verraten, es gelingt ihm auch ganz gut.

    Kühe, Mofas, Bier, Konfirmandenunterricht, Schulstress, Liebeskummer und die tödliche Langeweile [ … ] Doch dann kam PUNK, und PUNK kam auch nach Schmalenstedt in Schleswig-Holstein.

    Sex, Drugs & Rock ’n‘ Roll. Wie eine Flutwelle schwappt der PUNK über das flache Land und Schamomi – aka Roddy Dangerblood – erwischt es besonders hart. AC-DC war gestern, die Sex Pistols sind nun die neuen Hausgötter. Abhängen, ein neues Outfit, Rum-Cola und jede Menge Bier – die Schule wird alsbald zum Störfaktor, eine Band wird gegründet, Partys, Konzerte und größere und kleinere Katastrophen … Irgendwann klappt es dann mit einem Mädchen. Auf Drängen der Eltern beginnt Roddy Dangerblood immerhin eine Töpferlehre und bringt es wider Erwarten auch zum Abschluss. So weit, so gut. Spätestens jetzt ist es an der Zeit, dem verschlafenen Schmalenstedt den Rücken zu kehren …

    Schamoni blickt zurück auf seine Jugend – manchmal etwas wehmütig und gelegentlich sich selbst vor Verwunderung die Augen reibend. Der Mann hat Humor und ist wie der mensch ein Kind der 60er Jahre (vom Ost/Westgedöns einmal abgesehen gab es diverse Parallelen, und wir hatten, zumindest dazumal, die gleichen musikalischen Helden). Im Fazit ist dieser Roman daher eine sehr witzige und unterhaltsame Lektüre – ich habe mich königlich amüsiert.

    PS: ja, ich weiß, daß DORFPUNKS in Hamburg schon auf der Bühne stand. Und dass es den Film von Lars Jessen gibt. Gesehen habe ich bis dato aber weder das Eine noch das Andere. Was jetzt aber nicht so schlimm ist – ich habe ja das Buch.

  • Die Stille in Prag

    Prag, irgendwann in den Jahren nach der Jahrtausendwende. Eine Handvoll Protagonisten, denen der Sinn ihres Lebens abhanden gekommen ist. Petr etwa, der nach seinem abgebrochenen Studium bei der Straßenbahn arbeitet und um seine große Liebe trauert. Bei der Arbeit hört er am liebsten die kongenialen Joy Division – sein Hund Malmö begleitet ihn stets im Führerhaus. Dazu die junge Punkerin Vanda, die sich fest vorgenommen hat, anlässlich ihres 18. Geburtstages endgültig mit dem Koksen aufzuhören. Das wäre dann also in genau einem Monat.

    An allem ist der Lärm schuld. Das Getöse. […] Der Lärm, hinter dem sich die Menschen verschanzen, weil sie Angst voreinander haben. […] Lärm, von dem sie eingeholt und vernichtet werden, ohne es überhaupt zu bemerken. Die Lärmepidemie. Der Lärm hat die Welt in Brand gesetzt und Vladimir den Krieg erklärt. Oder Vladimir hat ihm den Krieg erklärt. Es läuft auf dasselbe hinaus.

    Wayne ist Amerikaner und ein erfolgreicher Anwalt; sein Leben gerät komplett aus den Fugen, nachdem er in den Nachrichten seinen im Irak stationierten Bruder blutüberströmt auf einer Trage sah. Des Weiteren Hana, die Karrierefrau aus dem Kulturministerium, die gerade im Flieger von Lissabon nach Prag sitzt und den Entschluss fasst, sich endgültig von Wayne zu trennen. Zuletzt Vladimir, der einst als Perkussionist im staatlichen Symphonieorchester gearbeitet hat und dessen Frau an Krebs gestorben ist. Er ist zweifellos die obskurste Figur im Geschehen, lebt im Plattenbau und führt einen einsamen Kampf gegen Lärm und laute Musik …

    Fünf Menschen in fünf Episoden, alle geschickt miteinander verwoben und auf ein grandioses, kleines Finale zutreibend.

    Alle haben Angst vor der Einsamkeit. Deswegen läuft überall Musik.

    Die Stille in Prag ist Jaroslav Rudiš dritter Roman – im Jahr 2012 gelangte er in die Auslagen der gut sortierten Buchhandlungen. 2014 erschien dann Vom Ende des Punks in Helsinki (nicht zu vergessen die kongeniale Graphic Novel „Alois Nebel“, anno 2011 erschienen). Der Mann hat ein Faible für skurrile Protagonisten, und versteht es auf wunderbare Weise – manchmal etwas lauter, zumeist aber leise und voller Melancholie – Geschichte und Geschichten einzufangen, zu verknüpfen und uns zu erzählen. Wir sollten ihn im Auge behalten … Unbedingt.

  • Vom Ende des Punks in Helsinki

    Ole war früher Punk und sogar ein wenig erfolgreich mit seiner damaligen Band. Das war irgendwann in den späten 80ern und zu Beginn der 90er Jahre. Heute ist er 40 und betreibt das »Helsinki«, die letzte normale und großartig versiffte Bar in einer namenlosen kleinen Braunkohlestadt im Osten. Dort darf geraucht werden und neben einer deftigen Soljanka werden Eier in Senfsoße und Rollmöpse serviert. Ab und an zeigt Ole im Hinterzimmer frivole Filme aus den 20er Jahren.

    Vieles ist ihm nicht geblieben – eine Handvoll Freunde, etliche gescheiterte Beziehungen, die Tochter, die er nur selten sieht und dazu seine Erinnerungen. Täglich schluckt er Tabletten gegen den Tod. Als seine Bar geschlossen wird und seine Tochter vollends im Ungemach zu versinken droht, regelt Ole das Notwendigste und verlässt die Stadt. Er bricht nach Tschechien auf, folgt seinen Erinnerungen und reist an den dunkelsten Punkt seiner Vergangenheit: anno 1987 versuchte er als 17-Jähriger mit seiner 16-Jährigen Freundin Nancy über die grüne Grenze in den Westen zu fliehen. Nancy hat diesen Fluchtversuch nicht überlebt …

    Punk’s dead, but something’s still alive.

    „Vom Ende des Punks in Helsinki“ ist ein deutsch-tschechisches Heldenepos der besonderen Art: manchmal witzig, oft melancholisch und zumeist zum Heulen traurig. Es spielt in einer nicht allzu fernen Vergangenheit und erzählt von der Tristesse der spätkommunistischen Jahre in der DDR und der damaligen Tschechoslowakei. Tschernobyl, die Sex Pistols und die Toten Hosen, Zauberpilze und die Stasi und die Polizei …

    Jaroslav Rudis hat einen rundum faszinierenden Roman geschrieben, der mir so wunderbar gefällt, dass ich gerne eine Fortsetzung der Geschichte hätte. Er erzählt von Menschen, die sich dazumal verweigerten und auch heute auf vermeintlich verlorenem Posten stehen. Die Sympathie für seine Helden ist immerdar zu spüren, und schnell gewinnt man den Eindruck, dass der Autor sehr genau weiß, worüber er schreibt. Danke dafür.

  • Neues aus Neuschwabenland

    Ich habe gelesen: „Neues aus Neuschwabenland“ von Alex Jahnke. Und um es gleich kurz und knackig auf den Punkt zu bringen: ich hätte mehr erwartet und kann nur bedingt zur Lektüre dieser 228 Seiten raten.

    Dabei birgt das Thema – eine von Nazis bevölkerte Ufo-Basis am südlichsten Punkt der Erde – enormes Potential. Reichsflugscheiben, Vril (die geheimnisvolle kosmische Energie) – Verschwörungstheoretiker der ganzen Welt horchen auf bei diesen Dingen. Und natürlich habe ich auf eine IRON SKY ähnliche Persiflage gehofft, auf ein wunderschön absurdes und komisches Szenario zur Thematik. Dem wurde der Autor jedoch nur im Ansatz gerecht.

    Die Geschichte wird in kurzen Schnipseln erzählt – in Form von Tagebucheinträgen. Fiktiver Autor ist Friedrich von Mumpitz, der Adjutant des Kommandanten der Basis. Neben den zahlreichen Einträgen bestimmt ein einziger Handlungsstrang das Geschehen: ein geheimnisvoller Mord, den es aufzuklären gilt. Es bleibt also übersichtlich, man kann das Büchlein getrost aus der Hand legen und immer wieder einmal zur Hand nehmen.

    Bei der Mehrzahl der Einträge stört mich vor allem die Beliebigkeit derselben – als mehr oder weniger gelungene Bürowitze sind sie universal einsetzbar und passen überall – an jedem Ort und in jeder Firma. Mit Neuschwabenland hat das Ganze relativ wenig zu tun, da hätte ich mir mehr erhofft. Im Grunde liest sich dieses Tagebuch wie ein bemüht witziger Twitter-Stream, der sich mangels Tiefgang und markiger Pointen auch gerne einmal unter der Gürtellinie bedient. Und erinnert somit leider nur allzuoft an das schier unerträgliche Comedy-Vergnügen privater Fernsehsender …

    Wer möchte, darf das durchaus lustig finden – ich kann darauf gerne verzichten.

  • Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

    So richtig vermag wohl niemand von uns einzuschätzen, wie der Alltag für die Menschen in Nordkorea aussieht. Wer allerdings diesen Roman gelesen hat, kommt der Thematik ein gutes Stück näher, denn „Das geraubte Leben des Waisen Jun Do“ ist ein Nordkorea-Roman. Der Amerikaner Adam Johnson recherchierte sechs Jahre lang für dieses Werk, sprach mit Flüchtlingen und reiste in das abgeschottete Land, um sich ein genaueres Bild zu machen.

    Erzählt wird die Geschichte des aus dem Waisenhaus stammenden Jun Do, der trotz unerhörter Karrieresprünge letztendlich im GULAG landet. Über die Jahre schlüpft er in die unterschiedlichsten Rollen – etwa als Tunnelkämpfer in der entmilitarisierten Zone, als Teilnehmer einer Geheimmission nach Texas oder letztlich als Mitglied des Generalstabs. Jun Do verliebt sich in die für ihn schier unerreichbare Schauspielerin Sun Moon (eine Favoritin des „Geliebten Führers“ Kim Jong Il) und wird doch eines Tages als Kommandant Ga ihr Ehemann – ein kaum fassbares Glück.

    Der turbulente Roman vereint viele Genres in sich, ist zugleich Thriller, Spionage- und Liebesroman. Und natürlich ist die Geschichte enorm überspitzt, sie nimmt teilweise comichafte Züge an, sollte jedoch nicht unterschätzt werden und leichtfertig als ein moderner Eulenspiegel-Roman abgetan werden – Adam Johnson (2013 für dieses Buch mit dem Pulitzer-Preis für den besten Roman ausgezeichnet) führt uns auch in die dunkelsten Keller des nordkoreanischen Regimes hinab. Inwieweit die Schilderungen letztlich in der Realität Bestand haben mögen können wir derzeit wohl nur schlecht beurteilen …

    Das geraubte Leben des Waisen Jun Do: Roman (suhrkamp taschenbuch)* umfasst 685 Seiten und ist als Taschenbuch für 10,99 Euro erhältlich.

    *Das ist ein Affiliate-Link zu Amazon. Wenn Ihr darüber etwas bestellt, erhält der Autor dieser Zeilen eine kleine Provision – Ihr müsst dabei keinen Cent mehr bezahlen.

  • Vor allen Dingen war ich ein Kind

    Esra Jurmann wurde am 20.05.1929 als Sohn eines jüdischen Kaufmannes in Pirna geboren. Als Kind erlebte er die Schrecken des Nationalsozialismus und schrieb diese nieder. Die Notizen gelangten in die Hände des Historikers Hugo Jensch, und diesem ist es letztlich zu verdanken, dass die Erzählung einen Verleger fand und anno 2008 erscheinen konnte.

    Der Autor erzählt in sachlich nüchterner Weise von der Zerstörung des väterlichen Geschäfts zur Reichspogromnacht, den Repressionen im Schulalltag und dem anschließenden Aufenthalt in den Dresdner Judenhäusern. Es folgt die Deportation in das Ghetto in Riga und der anschließende Aufenthalt in mehreren Konzentrationslagern. Mutter und Bruder überlebten dies nicht, Esra Jurmann konnte sich jedoch der tödlichen Bedrohung entziehen und überlebte dank glücklicher Umstände. Nach dem Krieg suchte er seinen ebenfalls überlebenden Vater und fand ihn in London, wo er sich dann auch niederließ. Er verstarb im Alter von 84 Jahren am 27. März 2014.

    Ich habe von den Grausamkeiten und dem Schrecken nicht im Einzelnen gesprochen, weil ich es nicht will. Die Schrecken der Konzentrationslager sind gut dokumentiert. Ich wollte von der anderen Seite sprechen, die es auch gab, obwohl sie sehr oft überschattet war.

    Das nur 96 Seiten umfassende Büchlein „Vor allen Dingen war ich ein Kind – Erinnerungen eines jüdischen Jungen aus Pirna“ ist im goldenbogen verlag erschienen und für 9,90 EUR zu erwerben.

  • Agota Kristof: Das große Heft

    In diesem Fall habe ich zuerst die Verfilmung der Romans gesehen, ohne diesen gelesen zu haben, und mich dann doch entschlossen, das Original zu lesen. Sie erinnern sich vielleicht – erzählt wird die Geschichte zweier Jungs, die von ihrer Mutter zur Großmutter aufs Land gebracht werden. Zum Schutz vor den Bombardements und vor dem Hunger, der in den letzten Kriegsjahren in den Großstädten grassiert … Die Zwillinge müssen hart arbeiten, ihre im Dorf als „Hexe“ benannte Großmutter ist von ihrer Gegenwart wenig begeistert und sowieso alles andere als fürsorglich. Um sich für dieses harte Leben zu stählen, üben und trainieren die Jungen, sie betteln, stehlen, töten und stellen sich taub und blind. Sie lernen schnell und dank ihrer eiskalten, von keinerlei Emotionen gesteuerten Logik überleben sie das große Sterben. Trotz der alltäglichen Brutalität und Grausamkeit bewahren sich die beiden einen Rest von Rechtschaffenheit und Glauben an die Gerechtigkeit …

    Im Roman wird die Geschichte etwas ausführlicher als im Film geschildert, zudem finden sich einige wenige Episoden auch nur im Buch oder sind im Film leicht verändert. Die Autorin erzählt jedoch noch kälter und brutaler, als dies der Film zu vermitteln vermag, was mir mit dem Blick auf die Thematik allerdings auch angemessen und letztlich überaus gelungen scheint. Mit 176 Seiten ist der Roman erstaunlich kurz – bei Zeit und Muße ist er an einem Abend zu lesen. Die verstörenden Bilder jedoch, welche diese Geschichte im Kopf erzeugt, werden wohl nicht so schnell vergessen sein …

  • Wolfgang Herrndorf: Sand

    Ich habe gelesen: Sand von Wolfgang Herrndorf.

    1972, irgendwo in der Nordsahara. In einer Hippie-Kommune werden vier Menschen erschossen, ein mysteriöser Geldkoffer verschwindet und auf dem Dachboden einer Scheune, in welcher illegal Schnaps gebrannt wird, erwacht ein Mann mit einer schweren Kopfverletzung. Er kann sich an nichts erinnern – nicht einmal an seinen Namen. Zutiefst verwirrt begibt er sich auf die Suche nach seiner Identität, und gerät dabei von einer Katastrophe in die nächste.

    … Es schien nicht der richtige Moment, dem Mann etwas von Amnesie zu erzählen. Eine frische Leiche, vier bewaffnete Männer in einem Jeep, ein irr blickender Fellache mit Mistgabel: Die Situation war unübersichtlich.

    Sand von Wolfgang Herrndorf ist die kongeniale Parodie des klassischen Agententhrillers. Anspruchsvoll und klug geschrieben, reich an skurrilen Situationen und verblüffenden Wendungen. Dabei ist dieser Roman keinesfalls leicht zu lesen – insbesondere die anfängliche Vorstellung der Protagonisten scheint zunächst verworren und ohne erkennbaren Bezug zueinander. Nach den ersten einhundert Seiten nimmt das Geschehen allerdings rasche Fahrt auf … Zum Ende hin verlangt der Autor seinen Leser_innen dann einiges ab – verblüffend ist nicht das richtige Wort dafür – es ist schlicht und einfach verstörend.

    Im Fazit ist Herrndorfs 2011 erschienener Roman gewiss nicht jedermanns Sache. Wer etwa einen spannungsgeladenen Spionage-Thriller oder ein amüsantes (und pädagogisch-wertvolles) Roadmovie à la Tschick erwartet wird scheitern – Sand ist ein kunstvoll inszeniertes, in Teilen absurdes Theater, welches man wohl zweimal zur Hand nehmen muss, um es hernach in seiner Gänze auch wirklich verstanden zu haben.